Dr. Adolph Blankenhorn

Der Professor von Müllheim

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Adolph Blankenhorn eilte mit großen Schritten seiner Zeit voraus; er war ein Mann der Worte und ein Mann der Tat. »Wir reichen Leute haben kein Recht, den Reichtum für uns zu gebrauchen«, war sein Grundsatz. Für die Sache des Weinbaus legte er dementsprechend einen Großteil seines Vermögens um, weinsprachlich gesagt. Oberflächliches Gerede war ihm zuwider. Hohle Phrasen pflegte er auf seine Art zu beantworten. Mit einer Münze, die er stets bei sich trug. Diese eigenwillige Auszeichnung, die »Rhinoceros-Medaille«, ließ er gleich in vielen Abzügen herstellen. »Dieses Rhinoceros«, stand auf der Münze, »wurde von Asien nach Europa gebracht durch den Kapitän van de Meer im Jahre 1741; es wurde in Stuttgart in Württemberg stationiert. Es wog 5000 Pfund, fraß den Tag über 60 Pfund Heu, 20 Pfund Brot und soff vierzehn Eimer Wasser.«

»Man kann sich vorstellen, dass die mit dieser Medaille Ausgezeichneten darüber nicht gerade entzückt waren«, schrieb Fritz Fischer in seinem Porträt über Blankenhorn. Brieffreunde hatte der »Professor von Müllheim« aber reichlich. Zum Briefeschreiben nahm sich der 1843 geborene Müllheimer Sohn immer (viel) Zeit. Mit Fachwissenschaftlern auf der ganzen Welt, besonders in Europa und Amerika, stand er in regem Austausch. Unter anderem mit den Professoren Bouel und Molfino aus Madrid und Genua, den Doktoren Haller aus Bern, Müller-Thurgau aus Geisenheim und Nylander aus Stockholm sowie dem Ministerialrat Freiherr von Hohenbrück in Wien.

Blankenhorn nummerierte seine Geschäftskorrespondenz durch und legte von seinen »Brieffreunden« sogar ein Fotoalbum an. Ob er auch einmal eine »Rhinoceros-Medaille« verschickte, ist nicht überliefert. Seine eigenen Briefe waren jedenfalls sehr sachlich. In seinem ersten Brief an Friedrich Hecker (mit der Geschäftskorrespondenznummer 1600) kam er in wenigen Sätzen auf den Punkt: »Ich erlaube mir, Ihnen einige Separat- Abdrucke aus meiner Zeitschrift zu übersenden und Sie zu bitten, sich bei unseren Arbeiten zu beteiligen«, schrieb er an den 1848 in die USA emigrierten badischen Revoluzzer. »Wäre es nicht möglich, in Ihrem Lande eine Weinbauversuchsstation mit Staatshilfe ins Leben zu rufen?« fragte er noch in dem kurzen Brief, den er Hecker am 30. April 1872 aus Karlsruhe schrieb. Er, so Blankenhorn, habe es sich nämlich zur Lebensaufgabe gemacht, »im Verein mit Gelehrten und Praktikern dahin zu wirken, Weinbau und Weinbehandlung eine wissenschaftliche Grundlage zu geben.« Von »Herrn Brentano« – Lorenz Brentano, der 1849 kurzzeitig an der Spitze der provisorischen badischen Revolutionsregierung stand – hätte er erfahren, dass »Sie sich eifrig mit der Kultur des Weinstocks in Nordamerika befassen«, schrieb er Hecker. (Lorenz Brentano war nach Flucht und Emigration in die Vereinigten Staaten von 1872 bis 1876 als amerikanischer Konsul in Dresden nach Deutschland zurückgekehrt.)

Blankenhorn selbst wartete nicht auf staatliche Unterstützung. Aus eigenen Mitteln, der Staat hatte eine Förderung abgelehnt, gründete er 1867 in Karlsruhe ein Oenologisches Institut, mit eigenem Institutsgebäude ab 1874. Das war die erste derartige Forschungsstelle in Deutschland. Die badische Regierung war übrigens erst 1921 bereit, ein Weinbauinstitut zu errichten.

1881 wurde Blankenhorn außerordentlicher Professor an der Polytechnischen Schule in Karlsruhe. Von 1869 bis 1883 gab er gemeinsam mit Leonhard Rösler die weinwissenschaftliche Fachzeitschrift »Annalen der Oenologie« heraus. Außerdem errichtete er Rebschulen am Kaiserstuhl und im elterlichen Weingut in Müllheim und verband sie mit seinem Institut. »Der Landwirt kann nie zu viel, aber meistens zu wenig wissen«, schrieb er einmal.

1860, im Alter von siebzehn Jahren, zog es den Spross einer angesehenen Weingutsbesitzer-Familie aus Müllheim nach Karlsruhe, wo er sich wissenschaftlichen Studien widmete. Anschließend ging er auf die Universität nach Heidelberg. Er studierte Chemie und promovierte bei Robert Bunsen, der den nach ihm benannten Bunsenbrenner perfektionierte. Wein war jedoch sein Studienobjekt. Mit Wein war der dritte Sohn von Adolph Friedrich Blankenhorn und Katharina Judith geborene Krafft groß geworden. Nach dem Abschluss des Hochschulstudiums widmete er sich daher auf den familieneigenen Weingütern in Müllheim und am Kaiserstuhl der Weinwissenschaft. Das Kaiserstühler Weingut war 1842 von den Brüdern Nikolaus, Adolph Friedrich und Jakob Wilhelm Blankenhorn aufgebaut worden. Die Brüder machten über zwei Jahre hinweg, mit teilweise 200 Arbeitskräften, ein bis dahin verwildertes Hanggrundstück für den Weinbau nutzbar. Bepflanzt wurde 1844 – mit Riesling-Setzlingen aus dem Rheingau und Spätburgunder aus der burgundischen Grand Cru Lage Clos de Vougeot. Mit der ersten Ernte 1847 wurde der heute noch erhaltene Gewölbekeller fertiggestellt. Der Weinberg trägt noch immer den Namen der Erbauer.

Der Blankenhornsberg in Ihringen am Kaiserstuhl wird inzwischen vom Staatsweingut Freiburg betrieben, einer Einrichtung des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg und des baden-württembergischen Ministeriums für Ländlichen Raum. Das Staatsweingut dient Wissenschaftlern des Weinbauinstituts (in der Tradition Adolph Blankenhorns) als Versuchsgut. 1919 verkaufte die Familie Blankenhorn das Weingut an die Badische Landwirtschaftskammer. 1954 wurde das Anwesen dann als Versuchs- und Lehrgut dem Staatlichen Weinbauinstitut angegliedert. Adolph Blankenhorn nutzte früh das Weingut seines Vaters und dessen Brüdern als Versuchsstation für seine weinbaulichen und önologischen Untersuchungen.

Als 1868 die ersten Fälle der Reblaus in Europa – in der Provence und an der Rhône– festgestellt wurden, erkannte er sofort die Gefahr. Auf dem Blankenhornsberg betrieb er umfangreiche und kostspielige Versuche mit der Anpflanzung reblauswiderstandsfähiger Sorten. Insbesondere amerikanische Rebsorten pflanzte er an, um sie auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Reblaus zu untersuchen. Hierfür ließ er sich Rebsamen aus Amerika von seinem »Brieffreund« Friedrich Hecker schicken. Den Briefwechsel mit dem badischen Revolutionär, der von 1872 bis 1881 andauerte, veröffentlichte Blankenhorn 1883 in den »Annalen der Oenologie«.

1873 begegneten sich die beiden in Freiburg, als Hecker auf Deutschlandbesuch war, »um mein zerschossenes Bein zu flicken«, wie er im November zuvor geschrieben hatte. Am 28. August 1873, kurz vor ihrem Treffen, teilte Hecker Blankenhorn aus Freiburg mit: »Mit den Reben hier und in Frankreich sieht’s jammervoll aus, Insekten und Fäule, wo soll das Ende gefunden werden?« Am 4. November 1880 schrieb Blankenhorn den letzten Brief (mit der Geschäftskorrespondenznummer 6628) an Hecker, im Februar 1881 versandte er noch neue Versuchsergebnisse. Als Friedrich Hecker im März 1881 starb, schrieb er einen Nachruf. Mit einem anderen badischen Revolutionär hatte sein Onkel weniger erfreuliche Erfahrungen gemacht. Nikolaus Blankenhorn war während der 1848er Revolution Landtagsabgeordneter und bis zum Aufstand Bürgermeister von Müllheim. Als Gustav Struve in Müllheim weilte und die Republik vom Balkon des Stadthauses ausrief, knöpfte er dem Weingutsbesitzer 1000 Gulden als Revolutionssteuer ab. Außerdem musste Nikolaus Blankenhorn eine Kutsche für Struves Gemahlin Amalie abtreten. Die Familie Blankenhorn war die erste Adresse im Ort. Von ihrem Wohlstand und Einfluss zeugen noch heute viele Gebäude im historischen Zentrum. Das Anwesen Graf, das Elisabethenheim, der Lindenhof, die Wilhelmstraße 23 und die Blankenhornvilla in der Werderstraße 49. An vielen Fassaden ist noch das Wappen der Familie – kein Rhinoceros, aber drei Hörner – zu sehen. Im Markgräfler Museum ist neben dem Salon auch Blankenhorns Schreibtisch zu besichtigen; ein Stammbaum zeigt das Geflecht der Familie.

Die Blankenhorns stammten aus Württemberg und wanderten nach dem Dreißigjährigen Krieg aus der Gegend um Tübingen ins Markgräflerland. 1657 erwarb ein Blankenhorn das Bürgerrecht in Müllheim. Als Land- und Gastwirte, Gewerbetreibende und Müller gehörte die Familie schnell zur lokalen Elite. Man heiratete in einflussreiche Familien ein und bekleidete öffentliche Ämter.  Mit dem Jahr 1780, dem Drängen des Markgrafen Karl Friedrich, den Weinbau im Markgräflerland zu beleben und Gutedel flächendeckend anzupflanzen, begann die Geschichte der Familie Blankenhorn als Weingutsbesitzer- und Weinhandelsfamilie. Auf den Spuren des Markgrafen bewegte sich Adolph Blankenhorn bevor er von Müllheim nach Karlsruhe ging. 1859 wurde er in Vevey am Genfer See unterrichtet. In Müllheim galt der »Professor « lange Zeit als »gdschudiert « und »verruckt«, wie der Chronist Fritz Fischer schrieb. Erst hundert Jahre nach seinem Tod wurde er im Jahr 2006 mit einem Denkmal im Blankenhornpark geehrt. 1874 hat Blankenhorn den Deutschen Weinbauverein mitgegründet. Er wurde dessen erster Präsident und nahm diese Aufgabe bis 1893 wahr. Aus dem Verein ging der Deutsche Weinbauverband hervor.

Der Pionier des deutschen Weinbaus starb 1906 im Alter von 63 Jahren; seine Frau Adolphine, die seinen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Weg – »Wir reichen Leute haben kein Recht, den Reichtum für uns zu gebrauchen.« – unterstützte und sich um die Erziehung der gemeinsamen sechs Kinder kümmerte, überlebte ihn um zwölf Jahre. Im Badischen Weinbauverband steht Adolph Blankenhorn an oberster Stelle. Die höchste Auszeichnung, die der Verband vergibt, trägt seinen Namen.

 

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